Nach über 15 Jahren Erfahrung als Notstation hat man es irgendwann leid jedem uneinsichtigen Menschen zu erklären warum er bitte seine Böckchen auch in Bockhaltung und ohne Weibchenkontakt kastrieren lassen soll.
Wenn man das nicht tut, haben wir im Tierschutz und vor allem die betroffenen Tiere das Problem zu tragen und zu spüren.
Immer wieder hört man:
„ es sind keine Weibchen in der Nähe“
„ haben wir nicht für nötig gehalten“
„ haben wir nie drüber nach gedacht“
„ die verstehen sich prima“
„ machen wir schon immer so“
„ brauchen wir nicht“
„ unnötiges Risiko“
„ die werden sonst fett und inkontinent“
und der Klassiker der Kastrationsgegner: „unnötige/gefährliche Amputation von wichtigen Organen“
Und immer wieder die typische Synchron-Phantomkastration der männlichen Halter….
Immer wieder bekommen wir Anrufe wie:
- Abgabe 2 Böcke, da nicht miteinander verträglich (Rappelphase)
- Abgabe unkastrierter Bock (Senior) 7 Jahre alt
- Abgabe bockunverträglicher Bock jeglichen Alters
Das Problem taucht oftmals erst auf, wenn der Tag X kommt und die Halter plötzlich anfangen müssen sich zu informieren und feststellen, das das eigentlich Mist war sich 2 unkastrierte Böcke aufschwatzen zu lassen oder sich dafür zu entscheiden. Schließlich sagte man ihnen im Zoofachhadel oder beim „Züchter“ (Vermehrer), das das gut funktioniert.
Kurze Anmerkung: ein "Züchter" der unkastrierte Böckchen verkauft an Normalhalter, noch dazu 2 Babyböcke, ist lediglich ein Vermehrer und kein seriöser Züchter! Er hat die Verantwortung für die Tiere die er "prodiziert" um den Tieren ein gutes Leben zu ermöglichen. Kosten sparen geht zu Lasten der Tiere!
Oftmals sind Böcke immer und überall „Überschuss“ der weg muss und wenn jemand kommt und keine Ahnung hat, sind unerfahrene Halter genau die richtigen „Opfer“. Das Problem und die Kosten haben später die Halter, denn der Verkäufer will die Tiere keinesfalls zurück. Höchstens als Schlangenfutter oder kastriert um sie dann teuer weiter verkaufen zu können.
Gehen wir der Sache mal auf den Grund. Warum ist die Kastration so früh wie möglich wichtig? Früh bedeutet nicht unbedingt Frühkastration mit 3 Wochen und 250g auch wenn ich diesen Zeitpunkt für absolut perfekt erachte.
Wichtig ist dabei immer, dass Jungtiere IMMER!!!! Die Sozialisierung eines erwachsenen Sozialerziehers haben und zwar mindestens bis sie ein Jahr alt sind, besser 1,5 Jahre. Wer das beachtet, hat schon mal die besten Voraussetzungen um einen bockverträglichen Kastraten zu haben. Alles andere ist reine Charaktersache. Man kann keinen Bock zwingen bockverträglich zu sein, denn in der Natur leben Böckchen normalerweise nicht im Rudel zusammen.
Reine Bockhaltung kann funktionieren mit viel Platz, gut sozialisierten Tieren und vor allem nur wenn alle kastriert sind. So kann man später im Falle einer Unverträglichkeit (und ja, das kann sich auch spontan jederzeit auch bei älteren Tieren ändern) sofort agieren und den Kastrat zu Weibchen setzen. Er könnte sonst schon zu alt für eine Kastration sein und er muss noch 5-6 Wochen allein bleiben, da er so lange noch zeugungsfähig ist.
Nun 2 Beispiele, die immer auftreten können und JEDER unkastrierte Bock steht irgendwann vor diesem Tag X, falls er nicht vorher verstirbt vor Stress oder Krankheit.
Beispiel 1:
Familie Müller beschließt sich Meerschweinchen anzuschaffen. Da man Schrauben im Baumarkt und Tabletten in der Apotheke kauft, kauft man Tiere selbstverständlich auch im Zoofachhandel. Die müssen dort ja Ahnung haben und überhaupt gibt’s im Tierheim ja nur verhaltensgestörte, alte, kranke Tiere. Familie Müller möchte süße, junge, unverbrauchte Tiere die zutraulich werden und da kommen nur Jungtiere in Frage. (Alternative: Familie Müller gerät an einen Vermehrer, z.B. durch Kleinanzeigen)
Von Notstationen und wirklich seriösen Züchtern möchte Familie Müller entweder nichts wissen (oder weiss es einfach nicht, da nicht informiert), denn die stellen Fragen und machen Vorschriften. Die Tiere sollen für die Kinder sein und das möglichst billig, schnell und unkompliziert.
Nun kommt Familie Müller mit 2 Babyböckchen und einem Standartkäfig nach Hause. Das ungesunde Trockenfutter, den Salzstein und allerlei anderes Zeug kaufte man mit dazu, denn der Verkäufer hat das so gesagt. Aus den ursprünglich großzügig geplanten maximal 50 – 100 Euro wurden nun 150 – 200 Euro. Viel Geld, aber die Kinder wollten unbedingt Meeris haben.
Die beiden Böckchen werden Cookie und Muffin getauft. Täglich nehmen die Kinder die Tiere heraus zum streicheln und schmusen. Von alleine kommen sie nicht raus, sie verstecken sich, haben Angst, fressen nur nachts wenn es ruhig ist. Sie haben niemanden an dem sie sich orientieren können in der wichtigsten Prägephase ihres Lebens.
Tage vergehen und die Tiere haben einen Pilz. Der Tierarzt verlang mindestens 50 Euro und mit viel Glück heilt alles aus. Das war ein Stresspilz vom streicheln und der fehlenden Sicherheit!
Monate vergehen und die Böckchen fangen an sich zu besteigen, mit den Zähnen zu klappern, sich zu jagen und schließlich auch zu beissen. Streu fliegt durch die Gegend und Mama Müller schimpft was die Tiere für einen Dreck machen, ausserdem stinken sie, denn gemistet wird schon länger nicht mehr regelmäßig. Das Interesse der Kinder hat nachgelassen, denn sie haben sich ihr Haustier zutraulich und kuscheliger vorgestellt, es hat kein Interesse am Menschen und schon ist auch das Interesse der Kinder verloren.
Mama Müller fängt an im Internet zu suchen, denn sie versteht nicht warum die Tiere sich nun nicht mehr verstehen. Sie liest immer mehr und gerät an eine seriöse Stelle, die ihr beratend zur Seite steht. Sofort wurde das Problem erkannt. 2 unkastrierte Böcke ohne Sozialisierung mitten in der Rappelphase. Und davon gibt es 2-3, heisst bei der ersten ist es nicht erledigt.
Mama Müller erhält also den Rat die beiden kastrieren zu lassen und jedem getrennt ein oder mehrere erwachsene Weibchen dazu zu setzen nach der Kastrationswartezeit.
Platz für 2 Käfige ist nicht, einer muss weg, Muffin oder Cookie? Die Kinder machen Theater.
Mittlerweile hat Papa Müller die Tiere in den Garten verfrachtet, da er den Lärm der streitenden Böcke, das Streu und den Gestank nicht mehr im Haus will. Ein „toller“ 2 Stöckiger Stall wurde gekauft. Wieder 100 Euro….
Die Beissereien fangen nun richtig an, die Tiere nutzen die Rampe nur in der Not und gehen in der Flucht hoch und runter. Jeder hat seine Etage doch das Futter ist unten, das Wasser oben und da die beiden nun im Garten sind und es schon Herbst ist, schaut nach den Tieren niemand mehr so richtig. Futter und Misten nur noch ab und zu. Abszesse durch die Bisse, Pilz, Milben… Die Jungs mitten in der Rappelphase auf engstem Raum! (Manchmal entsteht die Unverträglichkeit auch erst mit 2, 3 oder erst mit 5 oder 6 Jahren, es kann jederzeit passieren)
Mama Müller berichtet Papa Müller vom Beratungsgespräch und der Kastration. Papa Müller hat die Faxen dicke und erklärt seine Frau für verrückt die Viecher für 80 Euro (sehr günstig) je Schweinchen kastrieren zu lassen. Das sind 160 Euro!! Außerdem wurde zu mindestens 2-3 qm Platz geraten, das ist ja wohl die Höhe für so kleine Viecher so viel Platz...
Familie Müller beschließt die Tiere abzugeben. Wohin? Wenn Papa Müller nun ein Geizkragen ist versucht er die beiden in den Kleinanzeigen für 200 Euro mit allem Zubehör zu verkaufen. Schicksal der Tiere völlig egal. Da sich niemand meldet (oh Wunder) schwindet der Preis von Woche zu Woche.
Wenn Cookie und Muffin Glück haben treffen sie zufällig eine Familie die ebenfalls keine Ahnung hat, aber beim erkennen des Problems handelt und den Tieren hilft mit einer Kastration und die Vergesellschaftung mit Weibchen. Im schlechteren Fall finden sie eine Familie der das Problem ebenfalls lästig ist und die Tiere werden einfach ausgesetzt, alleine gehalten oder an Schlangenhalter verschenkt (auch unbewusst).
Oder die beiden werden von einer Notstation oder dem Tierschutz gerettet.
Oder Mama Müller hat Mitleid mit den Tieren und gibt sie in eine Notstation/Tierschutz wo sie auch beraten wurde.
Nun sitzen Cookie und Muffin zerbissen alleine und getrennt in der Notstation. Die Abszesse müssen verheilen bevor sie kastriert werden können, ausserdem sind die beiden abgemagert und brauchen wieder Gewicht für die Kastration. So sitzen sie nun 3 bis 4 Wochen vor und nochmal 5-6 Wochen nach der Kastration alleine, da sie völlig Bockunverträglich sind. Schlimm für so ein soziales Rudeltier!
Familie Müller ist sauer! Sie wurden doch tatsächlich gefragt ob sie sich an den Kastrationskoten beteiligen. Natürlich tun sie dies nicht denn sie wollten ja schon das ganze tolle, teure Zubehör mit verschenken. Und das will die Notstation ja auch nicht! Sehr undankbar diese Notstation! Und dann holt die Notstation die Tiere noch nicht mal ab, man muss sie noch bringen! Abgabegebühr? Jetzt spinnt sie völlig, schließlich ist das doch ihre Aufgabe die Tiere zu nehmen und kann sie dann ja weiter verkaufen. Völlig Geldgeil diese Notstation! Bekommt doch Futter und Tierarzt umsonst! (Ironie aus, jedoch völlig der Wahrheit entsprechende Gedanken)
Hätte sich Familie Müller richtig informiert, wäre sie zur Notstation oder in den Tierschutz gekommen. Dort hätte man die Familie aufgeklärt, so dass keine bösen Überraschungen entstehen wenn die Tiere eben nicht zutraulich sind, da es Fluchttiere und keine Streicheltiere sind. Man hätte ein harmonisches Pärchen bekommen, einen Kastrat mit Weibchen vermittelt bekommen, das nötige und ideale Zubehör, man hätte eine Beratung bekommen und immer einen Ansprechpartner gehabt bei Fragen oder Problemen. Die Kosten wären hier ca. 250 Euro mit allem drum und dran gewesen und man hätte sich und den Tieren viel Ärger und Leid gespart und den Nottieren geholfen.
Das war Beispiel Nr. 1 und die Tiere hatten in dem Fall vielleicht Glück, vielleicht auch Pech.
Beispiel 2:
Familie Schmid kauft sich ebenfalls wie im Beispiel 1 uninformiert 2 Böckchen, nur anders wie im Beispiel 1 sind die Schweinchen hier vom Charakter her sehr unterwürfig und nicht dominant. Das heisst sie leben augenscheinlich „friedlich“ einfach nebeneinander her, ihnen ist langweilig aber sie sind friedlich. Die beiden sind Menschen gegenüber ängstlich und schüchtern und werden es wie Cookie und Muffin auch immer bleiben, da sie nie eine Sozialisierung hatten.
Die beiden hier wurden Max und Moritz getauft.
Nach ca. 6 Jahren stirbt Max plötzlich, Moritz ist alleine! Was tun, nun fängt Familie Schmid an zu überlegen. Natürlich muss wieder ein Bock her, Weibchen geht ja nicht.
Moritz attackiert den neuen Bock sofort, er kennt keine anderen Meerschweinchen und duldet schon gar keinen anderen Bock in seiner Nähe, also ist er nicht mehr bockverträglich. Zum kastrieren lassen ist er zu alt.
Familie Schmid wendet sich hilfesuchend an eine Notstation. Diese klärt sie auf, dass schon im jungen Alter eine Kastration sinnvoll gewesen wäre. Nun ist es aber wie es ist und der arme Moritz hat nun Glück keine böse Familie zu haben die ihn alleine lässt weil er unverträglich ist, sondern er bekommt einen kleinen Frühkastraten dazu. Ein Baby, das er erziehen kann.
Wohin aber nun mit dem neuen Böckchen? Natürlich nimmt ihn die Notstation. Und wer trägt die Kosten?
Dem Opi Moritz ist das aber zu viel Gewusel und dem Baby ist es einfach langweilig. Keine gute Kombination aber das muss so sein, denn was soll sonst mit Opa Moritz passieren? Das Baby kommt in die Rappelphase und attacktiert nun seinen Erzieher. Dieser kann sich nicht mehr wehren und leidet darunter. Der kleine pupertierende Kastrat muss gegen einen kleinen ausgetauscht werden. Der Kreislauf beginnt von vorne, bis Opa Moritz auch stirbt und der kleine dann zu Weibchen kann.
Ist das ein tolles Leben für ein Seniorschweinchen oder auch für das Baby?
Eine andere Familie ist in der gleichen Situation, will die Verantwortung aber abgeben und so sitzt nun dieser Seniorbock vielleicht auch schon krank in der Notstation. Auch dort kann er natürlich nicht alleine sitzen.
Wenn er dennoch bockverträglich ist hat er hier vielleicht die Chance einen anderen Seniorbock zu treffen mit dem er seinen Lebensabend verbringen kann, doch auch hier stirbt einer wieder zuerst. Und als Privathalter kommt man nie an einen Seniorbock, schon gar nicht mit der Gewissheit ob sie sich vertragen. Wenn nicht, wohin mit dem Neuzugang?
Weiterführend könnte man hier noch viele Varianten und Abwandlungen hinzufügen. Fakt ist dass die Kosten für Kastrationen und Krankheiten selten jemand anderer trägt als die Notstation. Und die leidtragenden sind die Tiere.
Wie Sie sehen gibt es, auch wenn der Bock sein Leben lang bockverträglich bleibt, kein schönes Ende für ihn und wird quasi dafür bestraft, dass er übrig geblieben ist.
Daher, BITTE IMMER ALLE BÖCKE, auch in Bockhaltung kastrieren lassen. Es ist für den Bock eine ALTERSVORSORGE!
Die Kastration ist keine große Sache, die Böckchen sind danach noch die selben! Sie werden nicht dick und auch nicht inkontinent. Sie sind noch genauso im Kopf Böckchen wie vorher auch. Das müssen sie auch, denn die Weibchen brauchen dieses Bockverhalten um keine Hormonprobleme zu bekommen (daher auch nie eine reine Weibchenhaltung ohne Kastrat)
Suchen Sie sich einen guten Tierarzt, am besten mit Gasnarkose oder Tripplenarkose. Sie bringen das Schweinchen morgens hin und holen es Mittags wieder ab als ob nichts gewesen wäre. Und je jünger der Bock, desto unkomplizierter die Kastration. Die Hoden sind kleiner und es entsteht kein Hohlraum, die Narkose wird besser vertragen und die Wundheilung ist besser.
Wenn ich meine Babys zur Frühkastration bringe werden die noch nicht einmal mehr genäht. Innerhalb von ein paar Stunden ist dieser kleine Schnitt von ca. 0,5 cm verheilt und man sieht nichts mehr. Die Kastration selber dauert 10 – 15 Minuten. Der Tierarzt darf das Schweinchen auch erst wieder mit geben wenn es selbstständig frisst und fit ist. Risiken gibt es immer! Allerdings sind die so gering, dass sie in keiner Relation stehen zum glücklichen Leben des Tieres! In all den Jahren und so vielen Vermittlungstieren kann ich an einer Hand abzählen, wie viele Böckchen an der Kastration gestorben sind. Und wenn dann waren es schon vorher Risikopatienten da gesundheitliche Probleme vorhanden waren.
Man kann einen Bock allerdings auch noch locker mit 5 bis 6 Jahren kastrieren lassen, wenn es der Gesundheitszustand zulässt. Das beurteilt der Tierarzt! Daher am besten immer mit Gasnarkose oder Tripplenarkose.
Böckchen sind in der Natur vorwiegend mit Weibchen zusammen, es harmoniert einfach besser und sie sind meiner Erfahrung nach glücklicher als in reiner Bockhaltung. Reine Bockhaltung kann funktionieren, doch dann bitte nur wenn alle kastriert sind um im Notfall den Störenfried zu Weibchen setzen zu können.
Bitte denken Sie auch daran, dass unvorhergesehene Umstände immer die Abgabe der Tiere notwendig machen können und Sie haben die Verantwortung den Tieren dann die besten Chancen für ihr weiteres Leben mit zu geben!
Manchmal sind das schöne Gründe wie z.B. eine berufliche Veränderung mit Umzug ins Ausland, oft sind es aber traurige Gründe wie Allergien, schwere Krankheiten, Unfälle, Scheidungen/Trennungen, Berufswechsel, Jobverlust, Umzüge, Pflegefälle in der Familie, Todesfälle in der Familie, usw. die eine Abgabe leider nötig machen.
Solche Dinge sind nicht vorhersehbar und kann jeden treffen und mit einer Kastration können die Tiere schnell und problemlos in gute zu Hause vermittelt werden.